Nachlese 2010

Januar

Übungsraum

Jetzt, im neuen Jahr, stehen wir beim Training im Übungsraum vor einer Spiegelwand. Ich sehe endlich Bewegungssünden, eigene und diejenigen „hinter meinem Rücken“. Aber auch fließendes, synchrones Aufsteigen und Sinken, Öffnen und Schließen. So wie es richtig und gut ist. Zum Seitenanfang

Februar

Chinesisches Neujahr

Inzwischen ist der 15. Februar 2010, westliche Fastnacht und chinesisches Neujahr. Mit chinesischem Mittagessen im Qiangwei Gu (=Tal der wilden Rosen) bei Gisa, mit Kroepuk, Pflaumenwein, Himbeeren aus dem Klostergarten und Lichees, Lampions, Glückskeksen mit hellseherischer Wahrheit gefüllt, Apfelkuchen, Malzkaffee und Sahne lässt es sich über alle Maßen schön feiern. Nur womit die bösen Geister fern halten?

Schülerin bläst einen Ballon aufNach dem Essen beginnt unsere Bogenübung. Die winterwitterungsbedingte wochenlange Übungsabstinenz spüren Geist und Körper. Das Bogenspannen ist nicht mehr so selbstverständlich, die gelassene Hinwendung zum Ziel, die feste Verbindung zur Erde, das gleichzeitige innere Sinken und Loslassen ohne Anstrengung will ständig geübt sein. Die Zielscheibe ist unbestechlich. Heute am Neujahrsfest muss es in den letzten beiden Runden der Bogenübung der Geister wegen respektlos knallen! Zuerst der Lungenfunktionstest, dann hängen pralle Ballons an der Zielscheibe. Und wie es knallt als unsere Pfeile treffen! Geister mit unguter Absicht werden sich kaum in unsere Nähe wagen. Ein gutes neues Jahr! Zum Seitenanfang

Mallorca

Eine Frau steht mit Regenjacke und fotografiert die brausende Gischt Es regnet und stürmt, schneit sogar bis in Meereshöhe. So lautet es seit Tagen aus dem Inselradio. Mallorca. Unsere Ankunft reißt die größten Wolken auseinander, der Wind aber bleibt und wühlt im Meer, treibt es gegen den Strand, wirft es gegen Mauern und Felsen, dass es nur so schäumt. Nächtliche Stürme brausen durch die Kiefernwälder und pfeifen um die Hausecken. Soviel Wind trägt das Qi davon und wir üben meist im Trainingsraum vor der Spiegelwand, das Spieglein am Rand verzerrt uns im Vorbeigehen zu buckligen, breiten, verkrümmten, kichernden Gestalten.

Der erste Weg wie immer nach Cala Fornells. Jenseits donnern die Wellen, hinter den Felsen steigt die Gischt empor wie Kochdunst aus einer geahnten Hexenküche. Die kleine Bucht aber geschützt und beinahe unberührt vom wilden Meer. Am Platja de Palma schießen die Wellen hoch und regnen auf uns herunter.

Das Wetter bleibt unruhig, der Wind zudringlich, der nächste Tag beschert uns den einzigen Regentag am Landgut Sa Granja. Traumhafte Architektur in bergiger Landschaft, eine arabische Gründung, die über 200 Jahre lang von Zisterziensern bewohnt und bewirtschaftet war.

Einen Tag später brechen wir bei Sonnenschein zum ehemaligen Trappistenkloster La Trapa auf, schmale Wege führen steil bergan, Waldboden, Geröll, felsig, stürmisch als wir den schützenden Wald verlassen, zum Schluss müssen wir klettern und wieder zieht sich der Himmel bedrohlich zu. In zugiger Höhe über dem Meer die längst verlassenen Klosterruinen über großzügig angelegten Terrassen. An einer verlassenen Finca am Rand unseres Weges entzünden sich wieder Zukunftsvisionen.

Eine Frau wandert durch einen hohen SchilwaldHeiße Stunden im Parc Natural S'Albufera. Die Wege durch die Sümpfe über 15 Kilometer zwischen drei bis sechs Meter hohem Schilf sind vollkommen flach, meditatives Gehen stundenlang, immer schnurgeradeaus. Auf den letzten Kilometern in Gänze überschwemmt, regelrecht überströmt, wir laufen in Schlamm und Wasser, nur das Wissen, dass wir schwimmen können, beruhigt uns einigermaßen.

Das noble Herrenhaus Son Marroig. Immer wieder müssen wir zu diesem, an exklusiver Stelle der Steilküste gelegenen Sommersitz des 19.Jhs., im Garten Fischteich, Bäume voller Zitronen, Mandarinen, Orangen und vorgeschoben ein Monopteros mit unverstellter Sicht. Der Blick folgt weit der felsigen Küste und dem Meer bis es auf den blauen Himmel trifft. Tief hinunter zur Halbinsel Sa Foradada, der Serpentinenweg ist nur über eine Eisenleiter zugänglich. Im unteren Drittel ein windstiller, sonnengewärmter Platz zum Ausruhen, Essen, Meditieren, Qigong üben.

Geburtstagsausflug ins liebliche, flache, windstille Landesinnere. Binissalem und Caimari, Gärten mit blühenden Mandelbäumen, das Cafe in der alten Ölmühle, die appetitlichen Angebote der Region und dann weiter steil und gewunden bergauf in die schroffe Tramuntana zum Monastir de LLuc (Anfänge im 14.Jh.), dem mächtigen Klosterkomplex auf dem Platz einer prähistorischen Kultstätte. Landschaftliche Extreme auf dem Raum einer kleinen Insel.

Rückkehr. Der Abflug am Abend läßt uns noch Zeit, Cala Figuera mit den alten Militärgebäuden zu besuchen, nachsehen, ob jemand unsere Visionen teilt oder sogar begonnen hat, sie in die Tat umzusetzen.

Die immer genussvollen Abende mit Qigong vor dem Essen und Wein und Sekt zur Begrüßung und zu den Geburtstagen: Wir sind es nicht gewohnt Alkohol zu trinken, und so kommt uns manches, auch wenig witziges, ziemlich zum Lachen vor. Urlaubslaune. Zum Seitenanfang

März

Meditationstag, 20. März

Chinesisches Schriftzeichen für die Wandlungsphase Holz Fünf Meditationstage im Lauf des Jahres sind Haltepunkte, an denen wir rasten, sitzen, schweigen, uns Zeit geben. Diesmal ist es kalt. Die Wandlung des großen Yin in der Natur ist noch wenig wahrnehmbar in unseren Breiten. Wie wohltuend die Wärme der Heizung, auch für unsere Bogenübung im Kloster Rosenthal.

Nun zum Frühlingsbeginn heißt das Thema: "Die Wandlungsphase Holz" und ist die erste der wu xing (fünf Wandlungsphasen), die mit den Jahreszeiten das Jahr durchlaufen, ineinander übergehen, sich bedingen, nähren und kontrollieren und sich zum Strom des Lebens ergänzen, der niemals anhält, alles durchfließt und beinhaltet.

Die Holzenergie ist die Kraft des Neubeginns, die unaufhaltsame Energie, die das, was im Dunkeln angelegt ist, ans Licht treibt. Lassen wir unsere Anlagen für Freude, Herzensgüte, Liebe und Klugheit sprießen! Zum Seitenanfang

April

Gäste im shui long dao

Meister Chung und Helga verbringen die Osterfeiertage mit uns. Chung gibt mir erste Einweisungen in den chinesischen Mondkalender, der, so sagt er, die Grundlage sei für die chinesische Medizin, Qigong, und IGing. Mir scheint, dass er meine Kenntnisse der chinesischen Zeichen grandios überschätzt. Ich versuche angestrengt, seine Erklärungen zu kapieren, allerdings ohne großen Erfolg. Lernen soll ich das trotzdem, was er mir aufgeschrieben hat. Nein, das sei nicht zu schwer.
Ostersonntagvormittag das Vergnügen des gemeinsamen Qigong. Ruth ist aus Hamburg zu Besuch und zum Üben des Wudang Shan Shiba Fa dabei. Zum Seitenanfang

Berlin, Konfuzius Institut

Ein Chinese schreibt eine KalligrafieSchon ein paar Tage später sehe ich Meister Chung in Berlin wieder. Im Konfuzius Institut nehme ich Teil am Workshop Chinesische Kalligrafie, den er leitet, von Helga unterstützt mit kleinen Vorträgen zur chinesischen Kultur und Sprache.

Dao ke dao fei chang dao, ming ke ming fei chang ming. Das zu schreiben bekomme ich als Hausaufgabe mit.

Sonntags in Berlin-Marzahn gehen wir im Sonnenschein durch die Gärten der Welt. Es ist Tag des Kirschblütenfestes. Der japanische Zen Garten führt mich unmittelbar nach innen. Licht und Schatten der zierlichen Bambustüren und -zäune, die feinen Holzarbeiten, die gleichlaufenden Wellen des gerechten Kieses, Holzstützen auf Naturstein gegründet, alles leise, schlank und wohlüberlegt, jedes tritt scheinbar hinter dem anderen zurück und führt die Sinne zu sich selbst. Wasser geleitet, wie scheinbar der Natur überlassen, Gehen in rosa Licht unter Wolken aus Kirschblüten. Es ist still hier, die Menschen sprechen leise oder flüstern, schweigen. Der Zauber der verletzlichen Zartheit und ungeschützten Innerlichkeit ergreift die Sinne. Ist so mit den Augen lauschen und den Ohren sehen?

Am Abend Gespräche am Tisch, alte Geschichten kommen herbei von Nichterreichtem und vergessenem Erreichtem, Umwegen und Menschen, die begleiten, stärken oder das Bein stellen. Und dem, was noch Ziel ist zu lernen, zu schaffen, zu werden. Mein Blick in Chungs Gesicht zeigt mir intensives Zuhören und Beobachten. Zen GartenSein Blick ist voller Kraft und Sicherheit als er spricht: „Warum bist du noch nicht zufrieden? Du hast doch schon genug erreicht. Warum strengst du dich immer noch an? Warum willst du noch mehr? Ich verstehe es wirklich nicht.“ Seine magische Bescheidenheit und seine sich ausbreitende unwiderstehliche innere Stärke und Gewissheit enthüllen mir in diesem Augenblick das, was ich finden will.

Meister Chung ist Daoist und was er mir zeigt, zeigt er mir vor allem durch sein Sein. Die Bescheidenheit des Zuschauers, die Genügsamkeit des Gastes, die Geduld des Schülers, die Authentizität des Lehrers, die sanfte Stetigkeit des Übenden.Zum Seitenanfang

Mai

Sommertraining

Die erste Hälfte des Mai liegt verregnet hinter uns. Der graue Deckel des Himmels trennt uns unerbittlich von den wärmenden und Seelen erhellenden Sonnenstrahlen. Dennoch, oder eher deshalb, hat das Sommertraining begonnen. Zusätzlich zum üblichen Donnerstagskurs treffen wir uns nun an jedem Dienstag zwei bis drei Stunden zum Üben und zur Formkorrektur. Zum Seitenanfang

In den parc naturel des vosges

Drei Pferde, die in die Kamera schauenAm Ende der Welt breiten sich, von den Menschen scheinbar fast vergessen, die weiten Wälder des parc naturel des vosges du nord aus. Sanfte Hügel unter dem frischen Frühlingspelz der Mischwälder reichen in allen Himmelsrichtungen bis zum Horizont. Hochragende Bäume verdunkeln einsame schmale Straßen kilometerweit. Sie gehen über in kleine rauhe Sträßchen, die helle Streuobstwiesen queren, dann doch irgendwann ein Dorf, menschenleer, scheinbar eine Filmkulisse des 18. Jh. Ich glaube nicht, was ich sehe aber es fühlt sich an wie schwache Erinnerung, weit entfernt und überlagert, nur Ahnung, mehr Klang als Bild, mehr Gespür als Gedanke, irgendwie Berührung. Am Dorfrand führt ein Weg dunkel, feucht und kühl unter dichten Baumkronen bergauf. Das letzte Haus oben auf einer Lichtung im Hellen. Der Zen Tempel Kosanryumonji, ein einfaches Wohnhaus, daneben eine Pferdekoppel, drei kleine, verwildert und wie vergessen aussehende Pferde beobachten mich starr durch ihre wirre Mähne hindurch. Altes, schwarzes Autowrack zwischen BäumenDahinter am Waldrand die dunkle Silhouette eines verrosteten, bis zur Hälfte in den Waldboden eingesunkenen Autowracks, das an Filmszenen aus dem 2.Weltkrieg erinnert. Die Rostbleche sind von Maiglöckchenteppichen und Vielblütiger Weißwurz umgeben. An der geheimnisvollen Zauberkraft, die dieser Pflanze nachgesagt wurde, gibt es an diesem Ort und im Augenblick keinen Zweifel. Der Pfad führt uns weiter zu den Gästehäusern des Zen Tempels, drei kleine Holzgebäude am Rand des neu angelegten Gartens, der sich von hier aus den Hang aufwärts zum Haupthaus zieht. Eine kleine, verwittert weiße Buddha Figur lehnt unbeeindruckt von Grauheit und Regen an der Steintreppe, unerschütterlich lächelnd. Sie verführt mich zur Korrektur meines Gesichtsausdrucks und meiner Einstellung zum Regenwetter. Zum Seitenanfang

Juli

Kyudo Bogen Seminar

Wenn man eine gewisse Zeit lang traditionelles Bogenschießen übt, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Neugierde auf den Kyudobogen erwacht. Das Einführungswochenende im haku-un-kan-kyudojo bei dem in japanischen Bogenkreisen berühmten und gerade aus den Kaiserlichen Gärten Tokios zurück gekehrten Meister Fritz Eicher wurde zur Offenbarung einer Handlung als poetische Meditation, deren Ablauf sich dem Zuschauer so wunderbar elegant und mühelos kunstvoll darstellt, dass es ihm den Atem stocken lässt.

Das eigene Tun jedoch ist, zumindest für den Neuling, vollkommen anderer Natur. Die praktische Übung beginnt an der Zwille (gomu yumi), einem Holzstück mit Gummischlaufe, das Griffabschnitt, Pfeil und Spannvorgang des großen Kyudobogens simuliert. Nein, dieses Holz nimmt man nicht einfach irgendwie in die Hand und schießt damit kleine Kügelchen auf ein Ziel! Noch lange und überhaupt nicht. Zuerst lernen wir eine kleine Schrittfolge, die angedeutete Verbeugung, das Stehen, die Körperhaltung und die unterschiedlichen Armhaltungen beim Gehen und Stehen (dozokuri, uchiokoshi sanbun-no-ni) und dann erst probieren wir unter Anleitung die Zwille richtig zu greifen, sie dergestalt ins das „Tigermaul“ der linken Hand zu klemmen (Links- und Rechtshänder werden nicht unterschieden), dass sich die drei restlichen Finger wie ein Schraubstock anfühlen und gleichzeitig zwischen Handfläche und Zwillengriff ein virtuelles, nicht zu beschädigendes Wachtelei unterzubringen ist (tenouchi). Die zugehörende Armhaltung links simuliert das Greifen des oberhalb der Kniescheibe abgestützten Kyudobogens, rechts stärkt die Faust das untere Dantian. Nun ist ein Drittel Vorspannung, in unserem Fall der Zwille, durchzuführen, ein subtiles Geschehen, das eine kleine Wendung zum Ziel hin mit der Platzierung der rechten Hand vor dem Herzraum kombiniert. Von hier aus steigen beide Arme gleichmäßig in gerader Linie über Kopfhöhe und das etappenweise Spannen beginnt dadurch, dass die Arme nach unten hinten sinken (die Ellbogen leiten die Bewegung) und die Schulterblätter aufeinander zu wandern, so lange bis der Pfeil, bei uns das Zwillengummi, am unteren Rand des Jochbeines anliegt. Nicht aus den Augen zu verlieren sind dabei die Atmung, die erwähnte Körperhaltung, leichtes Kippen des Beckens, Stellung und Sinken der Schultern, Lockerheit des Handgelenks und die Ausrichtung des „Pfeils“ zur Horizontalen. Letzteres so, dass „ein Tautropfen langsam auf ihm abwärts gleiten kann“. In diesem Stadium der geistigen und körperlichen Bemühungen bin ich, zugegeben, nur noch peripher empfänglich für Poesie. Schließlich soll die Linke (Bogen- resp. Zwillenhand bzw. -arm) im Augenblick des Abschusses eine Kippbewegung nach außen schräg unten ausführen, um die Bogensehne auf die Bahn eines Kreissegmentes zu leiten und dadurch ihre Berührung mit der Wange zu verhindern.

Bei alledem vergessen wir mitunter das Ziel, auf das unser Blick gerichtet sein soll.

Erst am zweiten Tag, nach sorgfältiger Vorbereitung, dürfen wir „den Schuss“ lösen. Es wäre fatal, sich aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit das Gummi ins Gesicht zu knallen und unnötigerweise Furcht zu erschaffen vor der Sehne und dem auf der Wange aufliegenden Pfeil. So instruiert lasse ich das gespannte Zwillengummi los und mit größter Selbstverständlichkeit verpasst es mir eine glücklicherweise nur angedeutete, sanft gestreichelte Backenpfeife. Die Ursache ist schnell gefunden, ich werde sehr vorsichtig und noch achtsamer. Es ist mir bekannt seit ich mit dem Bogen umgehe: Er verzeiht nicht den kleinsten Fehler.

Das krönende Ereignis erwartet uns kurz vor Ende des Seminars, bei vollem Gehirn und 37 Grad im Schatten: Wir dürfen unter den Augen des Meisters den echten Kyudobogen in seiner ehrfuchtgebietenden Größe ( 2m und mehr) handhaben (wie war das mit dem Bewegungsablauf, der Vorspannung...?), ihn oberhalb der Kniescheibe ablegen und vor die Körpermitte schwenken, was ihn sofort zum Abrutschen bringt, einen echten Pfeil auflegen (diese hohe Kunst lernen wir erst jetzt), ihn in Etappen ein wenig ziehen und abschießen. Die geistige Anspannung ist groß, dabei soll das Schießen aus dem Zustand höchster Entspannung erfolgen. Ohne Handschuh rutscht der Pfeil zwischen den feuchten Fingern, der Bogen neigt sich aus der Richtung, die Körperhaltung.... reden wir nicht davon.

Was bei den Schülern des haku-un-kan-kyudojo so berauschend aussieht, entpuppt sich als Etappenziel auf einem mühevollen Weg von Ausdauer, Selbstüberwindung, Achtsamkeit und höchster Konzentration. Das Handeln aus einer entspannten inneren und äußeren Haltung stellt sich erst nach jahrelanger Übung ein. Das ist mir aus der inneren chinesischen Kampfkunst bekannt.

Zuschauen ist herrlich, ein ästhetischer Genuss. Man ahnt nicht, was alles misslingen kann.

Eine wichtige Erfahrung in vielerlei Hinsicht. Zum Seitenanfang

September

Türkische Westküste

Zwei Frauen vor einem griechisch-ionischen KapitellNach einem extrem heißen Sommer steigt das Thermometer noch immer weit über 30 Grad. Zuhause ist die Wärme längst der herbstlichen Einheitstrübung gewichen. Unsere Freundin kommt mit ihrem Auto nach Izmir, noch in der Nacht reisen wir Richtung Süden. Die kleine Pension in Selcuk wirkt verschlossen, mit unserer deutsch-türkischen Freundin kommen wir hier unter. Sauber, spartanisch, Frühstück mit Mustafa und Ausblick auf der Dachterrasse. Gleich dabei Ephesos, die antike Hafenstadt aus dem 11. Jh. v. Chr. Heiße Straßen voller Menschen, die schon am frühen Morgen gegen den Hitzekollaps anschwitzen. Zwischen großartiger Architektur und Bildhauerkunst, Dokumenten hoher handwerklicher und bautechnischer Kultur und eines perfekt organisierten Staatswesens der Griechen (in vorchristlichen Jahrhunderten!) mobilisieren wir unseren Bildungswillen und steigen hinauf auf die oberen Ränge des berühmten Theaters, begleitet von gesungenen Akustikproben in den gängigen Touristensprachen. Der Blick geht weit bis zum ehemaligen, später verlandeten Hafen dieser einst reichen Großstadt.

Ein See an der MeeresküsteMorgens um 7 steht der helle Vollmond der aufgehenden Sonne gegenüber. Das Meer in der Bucht von Datca ist still, glatt und glasklar, die Luft frisch, Schwärme winzigster Fischchen schießen durch das flache Wasser am Strand. Zwei frühe Badegäste plantschen und prusten und später beobachten sie unsere Qigong Übungen. Minütlich steigt die Temperatur, der Schweiß perlt. Ab morgen werden wir auf dem Schattenplatz hinter der alten Mühle am See der Süßwasserquellen üben, wo die Fische uns aus großen Augen beobachten und ein Entenpaar sich für die vortäglichen Frühstücksbrotreste leise schnatternd bedankt.

Ein Fischerboot am SeeuferKräht der Hahn auf dem Baum, wird das Wetter wie ein Traum. Jeden Abend flattert er hinauf, von Ast zu Ast im verdorrten Gerippe im Kuhpferch, höher und höher und oben kräht er groß und stolz aus geschwellter Brust der Abendsonne zu, die langsam den Himmel rötend in den brackigen Bafa Gölü taucht. Über die dunkle Terrasse der "Pansiyon Pelikan" jagen scharfe Windböen, eine leere Visne Dose schlägt scheppernd auf den Steinfußboden. Die mächtigen Hütehunde des Bauern gegenüber bellen energisch, von weit schreit ein Esel und dann das Knacken des Lautsprechers: "Allah´u ekber, Allah´u ekber, La ilahi..." 

Höhlenmalerei in rötlicher FarbeNoch bevor am nächsten Morgen die Sonne über die Latmosberge steigt, verlassen wir das Dorf der Menschen, Kühe und Esel Kapiriki in Richtung Seeufer zu unserem Qigong Platz. Über dunklem Schlamm summen leise Wolken von Mücken, Meter für Meter erhellt das vorrückende rote Licht der Morgensonne die kleinen Inseln im See. Starr blickende Reiher warten auf Beute. Wir stehen staunend in einer scheinbar aus der Zeit geschnittenen, fernen Welt wie in einer Mondlandschaft, umgeben von Tempelruinen, Negropolen, Müllhaufen und Überresten des Hafens der ehemals bedeutenden antiken Stadt Herakleia am Golf von Latmos. Schwemmsandtürkische Frau steht am Dorfrand legte allmählich eine Barriere und trennte eines Tages die Bucht endgültig vom offenen Meer. Der heutige Brackwassersee ist ein Vogelparadies, jetzt im Herbst ist der Wasserstand niedrig, das breite Ufer schwarz verschlammt. Unser einheimischer Wanderführer, in Badeschlappen und mit der Behendigkeit und im Tempo einer Bergziege, leitet uns über Hänge und Wiesen ohne Wege, durch Gatter und Zäune und eröffnet uns die gigantische Bergregion des Latmos mit verfallenen Klöstern der Urchristen, Höhlen mit Malereien aus der Bronzezeit und dem frühen Christentum und findet nebenbei Stachelschweinborsten für uns als Andenken. Wie riesige Kiesel, glatt poliert und beim Herabfallen auf die Erde zerbrochen, liegen die Felsen an- und übereinander, bilden geschützte Räume, in denen Wandmalereien Jahrhunderte überdauerten und vom kulturellen Leben aus Zeiten berichten, in denen diese außergewöhnliche Landschaft noch zum Meer und der Welt offen war. Jetzt versuchen die Frauen mit Bauernschläue jedem Fremden ihre Handarbeiten und die Männer ihre kostbaren Dienste als Wanderführer und Bootsfahrer zu verkaufen und kaum ein Haus, das nicht zur "Pansiyon" umfunktioniert ist. Zum Seitenanfang

Oktober

Sesshin im Temple Zen Kosan Ryumon Ji im Parc naturel des Vosges

Mönch im Garten des Zen Tempels"Es gibt keinen Weg. Es gibt nur Schritte. Mit deinen Schritten entsteht der Weg." Meister Reigen Wang-Genh spricht langsam und unumstößlich, deutlich und einfach, so dass wir die französische Sprache verstehen können. Was für ein Glück am Rand.

Viel sitzen und schnelle Mahlzeiten. Schnell Essen, davor, dabei, danach rezitieren, zum Schluss Schale und Besteck mit dem Wasser aus den Karaffen auswaschen, die gelösten Essensreste trinken, nichts wird verschwendet. Alles abtrocknen, in das Tuch einwickeln, wegstellen. Mahlzeiten sind keine Pause. Erst danach etwas wie Genuss, Kaffee, Tee, Kuchen, Sprechen.

Am Nachmittag scheint zögerlich die Herbstsonne in die Gärten am Waldrand. Umgraben, wilde Kräuter jäten, dabei leise, vergnügte Unterhaltung.

Das letzte Sitzen des Tages in der abendlichen Dunkelheit und Kühle des Dojo. Schmerzen in Knien und Hüftgelenken. Für ein paar Minuten steigen rebellische, randalierende Gedanken aus meiner Müdigkeit hoch. Ihre aufmerksame Betrachtung lässt sie vorbei gehen, so wie die Schmerzen, sie rücken in den Hintergrund, nehmen Abstand. "Du sollst sitzen wie ein Felsen..." Die Worte von Li Zhi Chang fallen mir ein und ich nehme mich wahr, unbeweglich und breit auf dem Boden lastend wie einen Felsen und alle, die um mich herum sitzen wie Felsen, das ganze dunkle, schweigende Dojo ist riesiger Fels geworden, von dem ich ein Buddhistischer Altar im DojoTeil bin. Viel später der tiefe erschütternde Schlag der großen Trommel vor dem Eingang zur herbei gesehnten Rezitation: "Shu jo mu hen sei gan do..." Ganz im Dunkel, magisch gemeinsam geloben wir die zahllosen Lebewesen zu retten, die grenzenlos täuschenden Gedanken und Gefühle zu lassen, alle Dharmatore zu durchschreiten und den Weg des Erwachens zu verkörpern. Großartiger Tagesabschluss und nicht vorstellbar, dass morgen nicht alles davon in die Tat umgesetzt werden könnte. 

Der nächste Tag, ein guter kalter Tag, beginnt mit Sitzen, früh im Dunkel noch, bei offener Tür. Als die graue Dämmerung langsam das Dojo füllt, erklingen einzelne, entfernte Vogelstimmen aus dem nahen Wald. "Jeder Tag ist ein guter Tag. Jeder Augenblick ist ein guter Augenblick. Dein Geist sei wie ein Spiegel, in dem du dein Leben siehst. Alles, was du siehst, ist gut, dein Leben ist vollkommen. Nichts fehlt. Deine Wünsche erscheinen und verschwinden. Dein Bedauern taucht auf und geht." Das ist alles. Zum Seitenanfang